Hansi Flick erklärt wie Spanien geschlagen wird

Hansi Flicks Name steht eng mit der Spielweise der deutschen Nationalmannschaft in Verbindung, denn er ist längst nicht nur ein Hütchentaufsteller. Er ist viel mehr. Er ist Motivation, Ratgeber, Freund und ein Ansprechpartner für Jogi Löw.

Seit August 2006 sind er und der Bundestrainer ein Trainerstab und haben in dieser Zeit grandiose Spiele und Siege eingefahren und die DFB Elf von einer Durchschnittsmannschaft zu einen der besten Teams der Welt geformt.

Hansi Flick im DFB.de Interview der Woche mit Redakteur Steffen Lüdeke

DFB.de: Herr Flick, das neue Jahr hat gerade begonnen, Weihnachten ist vorüber. Wie wurde das Weihnachtsfest im Hause Flick gefeiert?

Hansi Flick: Sehr traditionell, die ganze Familie kommt zusammen und feiert gemeinsam. Alle Opas und Omas waren an Heiligabend bei uns, meine Tochter ist aus New York nach Hause gekommen. Geschenkt werden nur noch Kleinigkeiten, viel wichtiger ist uns, dass wir Zeit miteinander verbringen können. Meine Frau und ich sind schon lange der Meinung, dass man schenken sollte, wenn einem danach ist, wenn man zufällig über etwas stolpert, von dem man weiß, dass es dem anderen gefällt. Dafür muss man nicht auf Weihnachten warten.

DFB.de:Und Silvester? Wie sind Sie ins neue Jahr gekommen?

Flick:Wir haben bei uns Zuhause gefeiert. Mit allen Kindern, mit einigen Freunden und der gesamten Familie. Knapp 30 Leute waren wir. Wir machen das nicht jedes Jahr so groß, aber diesmal hat es gepasst. Es war eine schöne Feier, wir haben unaufgeregt und entspannt auf das neue Jahr angestoßen.

DFB.de: Ein Jahr, in dem Großes bevor steht. Nichts Geringeres als der EM-Titel wird angestrebt. Seit Anfang Dezember stehen die Gruppengegner für das Turnier in Polen und der Ukraine fest. Wie weit ist das Trainerteam mit den Vorbereitungen, wurden die Gegner bereits analysiert?

Flick: Es geht voran. Das Team Köln, 40 Mitarbeiter an der Deutschen Sporthochschule, hat hervorragende Arbeit geleistet. Die Kader der drei Gruppengegner wurden komplett und detailliert analysiert, wirklich umfassend. Aber natürlich werden wir uns auch noch persönlich Eindrücke verschaffen und in den kommenden Wochen und Monaten viel reisen.

DFB.de: So wie im Dezember, als Sie sich zunächst mit Bundestrainer Joachim Löw den „Clasico“ in Madrid zwischen Real und Barcelona angeschaut haben und danach weiter nach London geflogen sind, um die Partie des FC Chelsea gegen Manchester City zu sehen.

Flick: Ja. Wir werden uns aber natürlich nicht nur die Spiele in den ganz großen Ligen anschauen. Wenn wir in ein Turnier gehen, wollen wir alle verfügbaren Informationen über das Spiel und die Spieler aller unserer Gegner zusammen haben. Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Pepe müssen wir nicht mehr groß analysieren. Aber es gibt in allen Mannschaften auf allen Positionen auch Spieler, die weniger bekannt sind. Wir wollen auch vorbereitet sein, wenn die Nummer drei oder vier auf einer Position zum Zuge kommen sollte. Es ist also unsere Aufgabe, über möglichst viele Spieler so viele Informationen wie möglich zusammenzutragen.

DFB.de: Unter den Vorrundengegnern ist die Informationsgewinnung wahrscheinlich bei den Dänen am schwersten, oder?

Flick: Ja. Spieler der dänischen Nationalmannschaft spielen zwar in ganz Europa, auch bei großen Vereinen. Aber nicht nur. Wir werden deswegen ganz sicher außerdem nach Dänemark reisen und uns verschiedene Spiele und Spieler anschauen.

DFB.de: Schließt das Scouting auch die Trainer mit ein?

Flick: Selbstverständlich ist es für uns wichtig, zu wissen, welcher Trainer in welcher Situation wie agiert. Mit welchen Systemumstellungen müssen wir während der Spiele rechnen, wie reagieren die Trainer, wenn sie in Rückstand sind, wie wenn sie in Führung liegen. Auch mit diesen Fragen befassen wir uns, zu einer kompletten Vorbereitung gehört auch die Einschätzung der Trainer der Gegner.

DFB.de: Sie haben in Ihrer Karriere als Spieler unter Jupp Heynckes trainiert, unter Udo Lattek und Morten Olsen. Welcher dieser Trainer hat Sie am meisten beeinflusst?

Flick: Ich habe von allen etwas mitgenommen. Udo Lattek hat mich nach München geholt, immer gefordert und mir viel Selbstvertrauen gegeben. Am meisten gelernt habe ich wahrscheinlich bei Jupp Heynckes. Die Art und Weise, wie er damals mit jungen Spielern gearbeitet hat, war einfach klasse. Jupp ist ein sehr ehrlicher Mensch. Er ist normal geblieben, hatte und hat einen tollen Umgang mit den Spielern. Es ist bestimmt kein Zufall, dass er auch heute noch im Geschäft ist und so erfolgreich den FC Bayern trainiert. Im Gesamtpaket kann ich sagen, dass er mein bester Trainer war.

DFB.de: Und Morten Olsen?

Flick: Ich habe leider nur kurz sein Training erlebt. Nach meiner Knie-Operation kam ich langsam wieder zurück, habe aber schnell wieder Probleme bekommen und wurde dann Sport-Invalide. Aber die Einheiten, die ich unter ihm trainiert habe, waren sehr eindrucksvoll und lehrreich. Es war anders als alles, was ich vorher gewohnt war.

DFB.de: Sie haben damals sogar Buch geführt und sich nach jeder Einheit notiert, was und wie trainiert wurde.

Flick: In meiner Kölner Zeit habe ich angefangen, mir über Training und Inhalte Gedanken zu machen. Ich habe den Sinn von Übungen hinterfragt und habe versucht, so viel es geht, zu lernen. Für mich war es deswegen ein Glück, dass ich noch unter Morten Olsen trainiert habe. Mir war ja damals schon klar, dass ich Trainer werden wollte.

DFB.de: Haben Sie die Aufzeichnungen von damals noch. Bei der EM könnten Sie nützlich sein, immerhin ist Olsen Trainer der dänischen Nationalmannschaft.

Flick: (lacht) Weiß ich gar nicht. Wahrscheinlich sind Sie noch irgendwo, aber ob ich die finde?! Ich müsste mich mal auf die Suche begeben, weggeworfen habe ich sie bestimmt nicht. Aber ich bin sicher, dass Joachim Löw und ich auch so Lösungen gegen Dänemark finden werden.

DFB.de: Sie und Löw sind mittlerweile seit fünfeinhalb Jahren das Gespann an der Spitze der Nationalmannschaft. Wie gut erinnern Sie sich noch an die Anfänge? Wie hat das Ganze ganz genau begonnen?

Flick: Zunächst mit einem Gerücht. Eine Freundin hat mich angerufen und mir gesagt, dass sie irgendwo gehört hätte, dass ich ein Kandidat für den Posten des Co-Trainers bei der deutschen Nationalmannschaft bin. Ich habe dann gedacht, hoppla, und habe mir Hoffnung gemacht.

DFB.de: Und dann?

Flick: Tat sich vier Wochen lang nichts.

DFB.de: Bis der Anruf von Joachim Löw kam.

Flick: Nein. Ich habe einen Anruf von Oliver Bierhoff bekommen. Wir haben uns dann alle zusammen einen oder zwei Tage später in München getroffen.

DFB.de: Wie kann man sich das vorstellen, war es eine Art Vorstellungsgespräch?

Flick: Mehr oder weniger. Wir haben uns unterhalten, über Fußball gesprochen und unsere Vorstellungen ausgetauscht. Die Ideen von Joachim Löw und Oliver Bierhoff mussten ja auch zu dem passen, was ich für richtig halte. Es war ein gegenseitiges Kennenlernen. Jogi hatte ich vorher vielleicht vier, fünfmal gesehen. Oliver und ich kannten uns im Grunde gar nicht. Nur auf dem Platz bin ich ihm ein paar Mal auf die Füße gestiegen. (lacht) Aber das Gespräch war super. Meine Wahrnehmung war, dass es gleich gepasst hat. Inhaltlich und menschlich.

DFB.de: Diese Wahrnehmung hatten Sie offensichtlich nicht exklusiv. Die Wahl fiel schließlich auf Sie.

Flick: Eine Woche hat es noch gedauert. Es war eine spannende Zeit, weil alles geheim gehalten werden musste. Nur die unmittelbare Familie hat davon gewusst. Dann war es eine Erlösung, als die Zusage kam und die Entscheidung öffentlich bekannt gemacht wurde.

DFB.de: Mittlerweile sind fast sechs Jahre vergangen. Wie hat sich das Verhältnis mit Joachim Löw und im Trainerteam insgesamt entwickelt?

Flick: Wir haben uns gleich gut verstanden. Aber ist ja klar, dass die Dinge zu Beginn weniger eingespielt waren als heute. Doch es war auch in der täglichen Arbeit sofort zu merken, dass wir gleich über Fußball denken. Und – und da schließe ich Oliver Bierhoff und Andreas Köpke mit ein – uns hat früh ausgezeichnet, dass wir Dinge zwar immer wieder mal kontrovers diskutieren, aber nach außen stets einheitlich argumentieren und auftreten.

DFB.de: Sind in der Zeit Freundschaften gewachsen? Ist Joachim Löw ein Freund von Ihnen?

Flick: Ich denke schon, ja. Wobei das immer eine Frage der Definition ist. Was macht Freundschaft aus? Respekt für den anderen, ein insgesamt vertrauensvolles Verhältnis. Das ist alles bei uns gegeben.

DFB.de: Tauschen Sie sich auch über Privates aus?

Flick: Ja, aber nicht nur Jogi und ich. Das ergibt sich ganz automatisch, wenn man seit fünfeinhalb Jahren so eng zusammenarbeitet und so viel Zeit miteinander verbringt. Der Fokus liegt natürlich immer auf den gemeinsamen beruflichen Zielen, aber es ist schön zu wissen, dass man sich auch über andere Themen als Fußball unterhalten kann.

DFB.de: Das nächste große berufliche Ziel heißt Mission 2012, der Europameisterschafts-Titelgewinn. Welche Bedeutung hätte es für Sie persönlich, wenn dieses Ziel realisiert würde?

Flick: Wenn es klappen sollte, wäre es die logische Konsequenz der akribischen Arbeit des kompletten Teams. Zuallererst natürlich die Spieler, aber auch das gesamte Umfeld hat großen Anteil. Das Trainerteam natürlich, und Oliver Bierhoff. Aber noch viele andere arbeiten ganz entscheidend am Erfolg mit. Ob es das Team-Köln ist oder Urs Siegenthaler, der durch die ganze Welt reist, um uns mit Informationen zu versorgen. Oder die medizinische Abteilung, unser Mentaltrainer, die Organisation, die Medienabteilung, die Zeugwarte oder unsere Securitys. Ich weiß, mit welcher Leidenschaft, Begeisterung und Kompetenz an vielen Stellen für die Mannschaft gearbeitet wird. Und ich würde mich für jeden Einzelnen unglaublich freuen, wenn das Team diese Arbeit mit dem Titel belohnen würde.

DFB.de: Bei den letzten beiden großen Turnieren ist die Mannschaft jeweils an Spanien gescheitert. Wie hoch schätzen Sie diesmal die Chancen der deutschen Nationalmannschaft ein?

Flick: Unsere Entwicklung ist erstaunlich positiv und rasant. Bei der EM 2008 hatten wir noch andere Voraussetzungen, spielerisch war der Unterschied zu Spanien erheblich. Auch 2010 hatten wir noch nicht die heutige Konstanz. Man kann sich ja kaum mehr daran erinnern, dass es vor der WM in Südafrika das eine oder andere Spiel gab, nach dem wir in der Kritik standen. Der Fußball, den wir im Turnier gezeigt haben, hat dann viele überrascht.

DFB.de: Auch die Trainer?

Flick: Für uns war die Vorbereitung überragend. Die Spieler haben alles, was wir ihnen vorgegeben haben, toll angenommen und perfekt umgesetzt. Von Trainingseinheit zu Trainingseinheit haben wir gemerkt, wie die Mannschaft stärker wird. Es gab Situationen, in denen Jogi und ich uns fast ungläubig angeschaut haben. Wir standen manchmal staunend da, weil wir diese Leistungssteigerung und die Leichtigkeit unseres Spiels kaum erwartet hatten. Und nach und nach haben wir das Gefühl und ein Gespür dafür bekommen, dass das Team zu Großem fähig ist.

DFB.de: Diesmal ist die Ausgangsituation eine andere. Ein halbes Jahr vor Turnierbeginn hat die Mannschaft, wie beim 3:0-Sieg gegen die Niederlande, bereits auf absoluten Top-Niveau gespielt. Geht es diesmal in den Monaten bis zum Turnier und insbesondere in der Vorbereitung nur noch darum, die Form zu halten?

Flick: Nein. Es wäre fatal, wenn wir glauben würden, dass wir schon am Limit wären. Wir haben eine sehr gute Basis, das heißt aber nicht, dass wir uns nicht steigern müssen und werden. Wenn wir Spitzenmannschaften wie Spanien besiegen wollen, dann ist es zwingend notwendig, dass wir das Niveau unseres Spiels noch einmal steigern. Unsere Auftritte im vergangenen Jahr haben dazu geführt, dass der Respekt unserer Gegner weiter gewachsen ist. Es sollte aber niemand den Fehler machen, zu glauben, dass wir nicht noch besser spielen können. Wir haben Reserven – und diese werden wir aus der Mannschaft herauskitzeln. Es geht zwar nur noch um Nuancen, aber diese Nuancen werden am Ende entscheidend sein.

DFB.de: Die individuellen Stärken der einzelnen Spieler addiert – welches Team kommt auf einen höheren Wert: Deutschland oder Spanien?

Flick: (lacht) Wenn jeder einzelne von unseren Spielern ans Limit geht und seine Top-Leistung bringt, dann werden wir gegen Spanien gewinnen. Davon bin ich überzeugt.

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Autor:
Libero
Erstellt:
3. Jan 2012

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